#3 Fernöstliche Choreografien: ein Spiel zwischen Kameraästhetik und Kampfkunst

Während westliche Actionfilme in der Darstellung von Gewalt und Bewegung oft auf Tempo, Wucht und Schnittintensität setzen, verfolgen asiatische Martial-Arts-Produktionen seit Jahrzehnten eine völlig andere Strategie. Was in Hollywood häufig als reines Spektakel präsentiert wird, ist in Filmen aus China, Japan oder Südostasien tief verwoben mit Geschichte, Philosophie und kultureller Identität. Die Kampfkunst steht hier nicht nur für physische Auseinandersetzung, sie ist Trägerin von Traditionen, Werten und künstlerischem Ausdruck, was wiederum auch auf die Kamera- und Schnittarbeit Einfluss hat.

In diesem Beitrag möchte ich die filmische Inszenierung von asiatischen Martial-Arts-Szenen mit westlichen Action-Inszenierungen vergleichen und analysieren, was wir aus dieser Gegenüberstellung lernen können, gerade im Hinblick auf Kameraarbeit, Shotdauer und choreografischen Anspruch.

Kampfkunst als kulturelles Narrativ

Kampfkünste wie Wushu, Karate, Taekwondo oder Silat sind im asiatischen Raum nicht nur als Sportarten verankert, sondern als lebendiges Kulturerbe. In Ländern wie China oder Japan sind sie eng mit spirituellen, philosophischen und historischen Weltbildern verknüpft. Filmische Adaptionen dieser Traditionen sind daher oft mehr als bloßes Actionkino, sie sind visuelle Hommagen an jahrhundertealte Praktiken. Filme wie Crouching Tiger, Hidden Dragon (2000), Hero (2002) oder Fearless (2006) inszenieren Kampf nicht als brutalen Konflikt, sondern als kunstvolles Spiel mit Raum, Rhythmus und Bedeutung. Dabei wird nicht nur der Kampf selbst gezeigt, auch die Körperbeherrschung, die Präzision und die Ästhetik der Bewegung stehen im Fokus.

Längere Einstellungen und Slow-Motion

Was besonders auffällt: Im Gegensatz zum westlichen Kino setzen asiatische Martial-Arts-Filme häufig auf lange Einstellungen, in denen die Choreografie klar und vollständig sichtbar bleibt. Schnitte werden reduziert, nicht aus dramaturgischer Schwäche, sondern aus Respekt gegenüber der Bewegung. Die Kamera hält inne, beobachtet – und lässt dem Können der Darsteller*innen Raum zur Entfaltung.

Gerade in Szenen aus Ip Man (2008) oder dem klassischen Drunken Master (1978) mit Jackie Chan wird deutlich, wie bewusst Regie und Kameraarbeit darauf ausgerichtet sind, Technik sichtbar zu machen. Dabei kommt nicht selten Slow-Motion zum Einsatz, nicht als Effekt, sondern als stilistisches Mittel, um komplexe Bewegungen zu verlangsamen und ihre Qualität hervorzuheben1. Schlagkombinationen, Ausweichbewegungen, Körperrotationen – alles wird lesbar, greifbar und wertgeschätzt.

Ein zentrales Gestaltungsmittel ist dabei auch die bewusste Wahl der Einstellungsgröße: Totale und Halbtotale sind häufig, Close-Ups hingegen selten. Der ganze Körper soll sichtbar sein, denn schließlich ist die Bewegung als Ganzes die eigentliche Aussage.

Vergleich zum westlichen Kino

Dem gegenüber stehen viele westliche Actionfilme, in denen Kampf hauptsächlich als funktionales Mittel zum Spannungsaufbau dient. Bewegungsabläufe werden oft in kurzen, zerschnittenen Einstellungen gezeigt, häufig in Nahaufnahme und mit hektischer Kameraführung, um Dynamik zu simulieren. Dies führt zwar zu hoher Energie im Bild, lässt jedoch technische Präzision und choreografisches Verständnis oft vermissen. Nicht selten wird so der fehlende Kampfsport-Hintergrund der Darsteller*innen kaschiert. Die Kamera springt, die Schnitte verdecken Unsauberkeiten, das Sounddesign übernimmt die Wirkung. In vielen Fällen sind es die Stunt-Performer*innen, die den Kampf tragen, während Schauspieler*innen nur in wenigen Momenten direkt im Frame agieren.

Ein Paradebeispiel für diesen Unterschied liefert der Vergleich zwischen Crouching Tiger, Hidden Dragon2 und einem westlichen Actionfilm wie Taken3. Während bei Crouching Tiger, Hidden Dragon die Kampfchoreografien regelmäßig über viele Sekunden aus eine Einstellung zu sehen ist und den beeindruckenden Grad an Erfahrung zur Geltung bringt, wird in Taken der Nahkampf in etlichen Mikroshots zerstückelt – was zwar Adrenalin erzeugt, aber oft wenig Einblick in Technik oder Raum gibt.

Was ich aus asiatischen Martial-Arts-Filmen mitnehme

Der asiatische Zugang zeigt: Eine Kamera muss nicht immer mittendrin sein, sie darf auch beobachten, würdigen, sich zurücknehmen. Gerade wenn ich an bewaffneten Choreografien arbeite, ist es essenziell, dass das Bild den Bewegungen Platz gibt, um nicht nur die Action, sondern auch die genaue Bewegung zu zeigen.

Ich möchte daher im Schnitt versuchen, bewusst mit längeren Takes und übersichtlichen Einstellungsgrößen (sollte der Drehort es zulassen) zu arbeiten, um Technik und Timing sichtbar zu machen. Mein Ziel ist nicht, Action zu verschleiern, sondern sie verständlich und nachvollziehbar zu erzählen.

Kampfkunst ist mehr als Action. Sie ist Ausdruck, Disziplin und Teil eines kulturelles Erbes. Asiatische Martial-Arts-Filme zeigen, wie sich filmische Gestaltung diesem Anspruch unterordnen kann, ohne an Spannung zu verlieren. Im Gegenteil: Durch Klarheit, Rhythmus und Respekt gegenüber der Bewegung entsteht eine filmische Kraft, die weit über bloße Action hinausgeht.

Für mich ist dieser Zugang ein Vorbild zur bewussten Auseinandersetzung mit Kamera, Schnitt und Bildgestaltung, denn nur wer die Bewegung und deren Ziel versteht, kann sie auch richtig filmen.

  1. Drunken Master | Final Fight Freddy Wong VS. “Thunderleg” ↩︎
  2. Crouching Tiger, Hidden Dragon: Jen vs. Shu Lien Sword Fight ↩︎
  3. Taken Movie: Liam Neeson | I Told You I Would Find You ↩︎

„Kingdom Come: Deliverance“ als Maßstab für realitätsnahe historische Kämpfe bei Videospielen

Ein besonders herausstechendes Beispiel für realistische Kampfdarstellungen in Videospielen ist das Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance. Das Spiel, das im spätmittelalterlichen Böhmen des 15. Jahrhunderts spielt, legt großen Wert auf historische Genauigkeit, von der Gestaltung der Welt und den darin vorkommenden Charakteren, bis hin zum Kampfsystem, welches wiederum ein überraschend beeindruckender Versuch, historisch belegte Fechttechniken in ein Videospiel zu übertragen. Der Entwickler Warhorse Studios orientierte sich dabei an den zu der Epoche entsprungenen Quellen und Fechtbüchern, die die europäische Kriegs- und Kampfkunst des 15. Jahrhunderts dokumentieren. Diese detailverliebte Herangehensweise macht das Kampfsystem einzigartig, stellt jedoch auch aufgrund seiner Komplexität große Herausforderungen in der Spielmechanik dar.

Fechtbücher: Die historischen Grundlagen des Kampfsystems

Im Spätmittelalter und der Renaissance wurden Kampftechniken in Fechtbüchern systematisch festgehalten, welche wiederum als Lehrwerke für den Adel, Soldaten und andere Kampfkünstler dienten. Sie dokumentierten Techniken detailliert für Waffen wie beispielsweise Langschwert, Langes Messer, Rapier, Stangenwaffen wie Speere, Spieße, Hellebarden und auch den unbewaffneten Nahkampf.
Einige der wichtigsten Quellen, auf die sich auch Kingdom Come: Deliverance stützt, sind:

  • Johannes Liechtenauer (15. Jahrhundert): Liechtenauers Fechtlehre war eine der einflussreichsten Kampfsysteme in Europa. Sein Lehrsystem, welches in späteren Handschriften wie der Nürnberger Handschrift GNM 3227a von seinen Schülern dokumentiert wurde, beschreibt den Kampf mit dem Langschwert und setzt auf Prinzipien wie „Indes“ (das Timing in Gefechten) und „Fühlen“ (Kontaktwahrnehmung in der Bindung zweier Waffen), was auch in Kingdom Come: Deliverance zum Einsatz kommt.
  • Hans Talhoffer (15. Jahrhundert): Talhoffers Fechtbücher sind berühmt für ihre grafischen und detaillierten Darstellungen von Langschwerttechniken, Dolchkämpfen und Duellvorbereitungen. Viele der Kampfanimationen basieren direkt auf den in seinen Werken beschriebenen Techniken.
  • Fiore dei Liberi (14. Jahrhundert): Als einer der bedeutendsten italienischen Fechtmeister beschrieb Fiore Techniken für Langschwert, Speer und unbewaffneten Kampf in seinem Werk „Fior di Battaglia“.
  • I.33 („Walpurgis-Fechtbuch“): Dieses Werk aus dem 13. Jahrhundert ist das älteste bekannte Fechtbuch und beschäftigt sich vor allem mit dem Kampf mit Schwert und Schild bzw. Buckler.

Diese Quellen geben nicht nur Einblick in die Techniken, sondern auch in die zugrunde liegenden Philosophien und Taktiken der mittelalterlichen Kampfkunst.

Angriffsrichtungen und Schläge

Das System basiert auf einem sechsdirektionalen Angriffs- und Verteidigungsansatz. Spieler können Angriffe aus fünf verschiedenen Richtungen (oben, links, rechts, diagonal links, diagonal rechts) ausführen, was den Bewegungen aus historischen Fechtbüchern entspricht.

“Meyerkreuz” aus dem Buch “Gründtliche Beschreibung der… Kunst des Fechtens” 1

Dies ermöglicht die Anwendung von taktischen Angriffen unter dem Einsatz spezieller Techniken wie Meisterhäue, zu denen beispielsweise der der Zornhau, ein starker diagonaler Hau zählt, der die Deckung des Gegners brechen soll. Ein weiterer umsetzbarer Meisterhau ist der Twerhau, ein oft waagrechter Schlag mit dem Langschwert, der über dem Kopf des Angreifers geschieht. Aber auch Finten, Techniken, bei denen der Gegner durch einen scheinbaren Angriff in eine Richtung getäuscht wird, um dann an einer anderen Stelle zu treffen, sind umsetzbar.

Eine andere Technik, die beispielsweise in Talhoffers Skripten und im Codex Wallerstein2 beschrieben wird, ist das Halbschwert. Dabei greift der Kämpfer das Schwert direkt an der Klinge, um präzisere Stöße gegen gepanzerte Gegner auszuführen. Diese Technik wird im Spiel implementiert, um den Realismus im Kampf gegen stark gerüstete Feinde im Harnisch zu erhöhen.

Das Spiel unterscheidet zusätzlich zwischen verschiedenen Angriffsarten, darunter:

Schneidtechniken: Zum gezielten Schwächen eines Gegners über Zeit.
Hiebe: Ideal gegen ungerüstete Gegner, da sie maximale Schnittwirkung entfalten.
Stiche: Besonders effektiv gegen schmale Lücken in Plattenpanzern.

Sowohl der gespielte Charakter als auch die im Spiel vorkommenden Gegner nehmen bei den Gefechten passend zur Waffengattung und historisch belegte Huten bzw. Leger3 ein, deren Angriff- sowie Paradefunktionen auch im Spiel Anwendung finden.

Illustration des "Verkehrers" aus dem Werk "Fechtbücher (Sammelhandschrift) - UBA Cod. I.6.2° 2"
Illustration des Stuck im aufstreichen aus Fechtbücher (Sammelhandschrift) – UBA Cod. I.6.2° 24
Kingdom Come: Deliverance II – Gameplay Darstellung eines doppelten Twerhaues nach Johannes Liechtenauer (Kunst des langen Schwertes, ~1389)

Dynamik des Kampfes: Fließende Animationen und Trefferzonen

Ein großer Pluspunkt von Kingdom Come: Deliverance ist die realistische Darstellung der Dynamik eines Kampfes. Durch Motion-Capture-Technologie, die mit erfahrenen HEMA-Kämpfern (Historical European Martial Arts) durchgeführt wurde, wirken die Bewegungen natürlich und überzeugend. Außerdem werden Trefferzonen präzise simuliert:

Gezielte Angriffe: Spieler können spezifische Körperteile ins Visier nehmen, wie den Kopf oder ungeschützte Gliedmaßen, um Schwachstellen der Rüstung auszunutzen.

Konter: Konter basieren auf der genauen Beobachtung des gegnerischen Angriffs und erfordern Timing, wie es in historischen Manuskripten beschrieben wird.

Herausforderungen und Grenzen der Authentizität

Trotz des hohen Anspruchs an Authentizität gibt es Einschränkungen. Einige komplexe Techniken, wie Würfe oder der Kampf am Boden, wurden nicht vollständig umgesetzt, da sie schwer in ein Spielmechanik-System zu integrieren sind. Ebenso müssen Spieler durch Tutorials in die Kampftechniken eingeführt werden, welche oft nicht ausreichen, da die Komplexität für Neulinge oft überwältigend zu sein scheint. Kingdom Come: Deliverance II erscheint Anfang 2025 und soll das Kampfsystem um zusätzliche historisch belegte Techniken erweitern.

Fazit

Das Kampfsystem von Kingdom Come: Deliverance ist eine Hommage an die Fechtkunst des Mittelalters. Durch die detailgetreue Integration historischer Techniken aus Fechtbüchern setzt das Spiel einen neuen Standard für Realismus in Videospielen. Es zwingt Spieler dazu, strategisch zu denken, präzise zu handeln und die Herausforderungen realer mittelalterlicher Kämpfe zu meistern – ein Erlebnis, das sowohl unterhält als auch lehrreich ist, jedoch auf keinen Fall für die breite Masse bestimmt ist.

  1. Joachim Meyers “Meier Kreuz”
    https://www.wiktenauer.com/wiki/Joachim_Meyer ↩︎
  2. Codex Wallerstein
    https://www.thearma.org/Manuals/CodexW.htm
    ↩︎
  3. Erklärung zu Huten bzw. Leger
    https://www.schwertkampf-tutorials.de/die-vier-huten/
    ↩︎
  4. Fechtbücher (Sammelhandschrift) – UBA Cod. I.6.2° 2
    http://digital.bib-bvb.de/view/bvb_mets/viewer.0.6.5.jsp?folder_id=0&dvs=1731975134328~230&pid=1963622&locale=de&usePid1=true&usePid2=true ↩︎