Warum selbst in Historienfilme historische Ungenauigkeiten sinnvoll sein können

Historienfilme und -Serien ziehen Zuschauer in vergangene Epochen und entführen sie in die Welt des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Doch wie viel historische Authentizität braucht ein solcher Film, wenn es sich dabei nicht um einen Dokumentarfilm handelt? Ist es immer notwendig, jedes Detail akkurat darzustellen, oder bis zu welchen Grad kann es sinnvoll sein, von der Geschichte abzuweichen, um eine spannendere Geschichte zu erzählen? Dieser Artikel beleuchtet den Konflikt zwischen Realismus und künstlerischer Freiheit, untersucht die Gründe für historische Ungenauigkeiten und zeigt anhand von Beispielen, wie eine Balance zwischen beiden Ansätzen gelingen kann.

Authentizität vs. künstlerische Freiheit

Filme und Serien sind in erster Linie Geschichten und während Dokumentationen versuchen, die Realität und die darin thematisierten Charaktere und Ereignisse so objektiv wie möglich darzustellen, haben Historienfilme oft ein anderes Ziel: Sie wollen unterhalten und emotional bewegen. Dabei entsteht ein natürlicher Konflikt zwischen Realismus und künstlerischer Freiheit.

Historische Genauigkeit sorgt für Glaubwürdigkeit und Immersion. Zuschauer, die sich für eine bestimmte Epoche oder ein historisches Ereignis interessieren, erwarten häufig ein hohes Maß an Detailtreue. Authentizität hilft dabei, die Komplexität und Nuancen einer historischen Zeit zu verstehen – von politischen Strukturen bis hin zu sozialen Dynamiken.
Ein Beispiel hierfür ist Master and Commander (2003). Der Film zeichnet sich durch seine präzise Darstellung des Lebens an Bord eines Kriegsschiffs im frühen 19. Jahrhundert aus. Von den Uniformen der Offiziere über die Navigationsinstrumente bis hin zur Sprache der Besatzung – alles wurde sorgfältig recherchiert und authentisch inszeniert. Diese Detailtreue schafft eine immersive Atmosphäre, die es dem Publikum ermöglicht, tief in die maritime Welt der Napoleonischen Kriege einzutauchen.

Trotz aller Bedeutung der Authentizität bleibt ein Film ein erzählerisches Medium, das darauf abzielt, Emotionen zu wecken und Geschichten zu erzählen. Historische Fakten allein reichen oft nicht aus, um eine packende Handlung zu erzeugen. Hier kommt die künstlerische Freiheit ins Spiel, die es Filmemachern erlaubt, die Realität zu dramatisieren, zu verkürzen oder sogar zu verändern, um eine mitreißende Erzählung zu schaffen.

Ein Paradebeispiel für den Einsatz künstlerischer Freiheit ist Ridley Scotts Gladiator (2000). Der Film nimmt sich viele Freiheiten bei der Darstellung des antiken Roms, von der Figur des Kaisers Commodus bis hin zur Arena-Kultur. Doch diese Änderungen dienen dem Zweck, eine eine klare Heldenreise zu erzählen, die Zuschauer emotional anspricht. Die Konflikte und Kämpfe von Maximus sind archetypisch und universell, was den Film für ein breites Publikum zugänglich macht, auch wenn die historische Genauigkeit darunter leidet.

Dieser Konflikt prägt die Produktion vieler Historienfilme und zieht sich bis hin zu der Darstellung von Kämpfen und Duellen.

Gründe für Ungenauigkeiten

1. Dramatische Wirkung: Der Kampf als emotionaler Höhepunkt

Kampfszenen sind oft der Höhepunkt eines Films oder einer Serie. Sie dienen nicht nur dazu, den Konflikt aufzulösen, sondern auch, die Zuschauer emotional zu packen.

Ein authentischer bewaffneter Kampf war oft schnell und chaotisch. Ein einziger Treffer konnte, je nach Rüstungsgrad der Kontrahenten, tödlich sein, und Duelle dauerten selten länger als wenige Minuten. Diese Realität ist jedoch für Zuschauer häufig wenig befriedigend, daher verlängern Filme Kämpfe, übertreiben Bewegungen oder inszenieren spektakuläre Wendungen, um mehr Spannung aufzubauen.

Beispiel: The Last Duel (2021) zeigt ein realistisch wirkendes Duell, das jedoch dramaturgisch aufgearbeitet wurde und dementsprechend atypische Handhabung der darin vorkommenden Breitschwerter inne hat, um die Spannung und Intensität des Kampfes zu steigern. Die Choreografie bleibt, im Vergleich zu anderen Filmen, auf der eher authentischen Seite, aber die emotionale Bedeutung des Kampfes wird durch Stilisierung verstärkt.

2. Charakterentwicklung: Waffen und Kampfstile als Ausdruck von Persönlichkeit

Die Wahl von Waffen und Kampfstilen kann viel über die Charaktere eines Films aussagen. Hierbei spielt die Authentizität oft eine untergeordnete Rolle, da die Inszenierung wichtiger ist als historische Details. Sie spielen in Filmen oft eine zentrale Rolle bei der Charakterentwicklung und sind mehr als bloße Werkzeuge oder Kampftechniken – sie dienen als visuelles und erzählerisches Mittel, um die Persönlichkeit, Werte und Entwicklung einer Figur zu unterstreichen, worunter die Authentizität dementsprechend leiden kann.

So wird in The Princess Bride (1987) der Fechtstil jedes Charakters genutzt, um dessen Persönlichkeit zu unterstreichen. Die Kämpfe sind choreografisch anspruchsvoll, aber absichtlich überzogen und humorvoll gestaltet, um die märchenhafte Stimmung des Films zu unterstützen. Mehr dazu im nächsten Blog.

Ein anderes, etwas fantasievolleres Beispiel sind Geralt von Rivas zwei Langschwerter aus “The Witcher” 2019 – eines aus Stahl für Menschen und eines aus Silber für Monster – spiegeln nicht nur seine Berufung als Hexer wider, sondern verdeutlichen auch seine Dualität zwischen zwei Welten: der menschlichen und der magischen.

Dieses Beispiel von Connor Chamberlain1 demonstriert die dramaturgische Stilisierung von Geralts Kampfszene in Form von zeitlischer Mainpulation sowie der teils theatralischen und wenig realistischen Handhabung des Langen Schwerts (Minute 9:03).

3. Praktische Gründe: Machbarkeit für Schauspieler

Historische Techniken können je nach Komplexität und Waffe schwer zu erlernen sein. Schauspieler haben oft nur wenige Wochen Zeit, um komplexe Choreografien einzuüben und die Wenigsten sind enthusiastische Fechter:Innen, wodurch die Sicherheit und Routine mit der Waffe fehlt. Um Verletzungen zu vermeiden, werden ebenjene Kampfszenen an die Fähigkeiten der Darsteller angepasst. Das Ergebnis sind oft Bewegungen, die stilisiert und vereinfacht werden, um sicher und gleichzeitig eindrucksvoll zu wirken. So sind beispielsweise in Braveheart (1995) die Schlachten visuell beeindruckend, aber die Kämpfer führen oft für deren Ausbildung (beispielsweise die trainierten und ausgebildeten Soldaten eines Kommandanten) im Kampf sehr ausladende, ungeschützte und daher oft unrealistische Bewegungen aus, die hauptsächlich für das Storytelling entworfen wurden.

Historische Ungenauigkeiten sind nicht automatisch ein Makel. Sie können vielmehr dazu beitragen, eine Geschichte zugänglicher, spannender und emotionaler zu gestalten. Die besten Historienfilme sind jene, die Authentizität als Werkzeug nutzen, aber gleichzeitig den Mut haben, die Realität dort anzupassen, wo es für die Dramaturgie notwendig ist, ohne sich dabei zu stark von der Glaubwürdigkeit weg zu bewegen.

Letztendlich ist es die Fähigkeit, historische Elemente respektvoll zu adaptieren, die diese Filme und Serien auszeichnet. Sie können uns die Vergangenheit näherbringen und gleichzeitig unterhalten – ein Spagat, der nicht leicht zu meistern ist, aber enorme kreative Möglichkeiten bietet.

Ob authentische Schwertkämpfe, überzeichnete Duelle oder epische Schlachten – das Ziel bleibt immer, die Zuschauer zu begeistern und sie in eine andere Zeit zu entführen. Wenn dies gelingt, spielt es oft keine so große Rolle, ob jedes Detail der Realität entspricht, denn die Geschichte lebt durch die Emotionen, die sie vermittelt.

  1. Denver Historical Fencing Academy
    https://denverhistoricalfencing.com/ ↩︎

Realität vs. Fiktion anhand des Filmes “The King” (2019)

Kampfszenen in Filmen und Videospielen sind oft spektakulär und dramatisch, aber wie viel haben sie tatsächlich mit den historischen Kampftechniken zu tun, die sie darstellen? Hier versuchen wir den Unterschied zwischen realen mittelalterlichen Kampfstilen und ihren filmischen Interpretationen zu finden. Ein besonderes Augenmerk wird hierbei auf den Film The King (2019) gelegt, der für seine realistischen Kampfszenen gelobt wurde, aber auch Freiheiten in der Darstellung nimmt.

Die Realität mittelalterlicher Kampftechniken

Mittelalterliche Kampftechniken sind oft mit einem Hauch von Romantik und Mystik umgeben – geprägt durch Filme, Serien und Literatur. In der Realität waren diese Techniken jedoch von Pragmatismus, Effizienz und brutaler Gewalt bestimmt. Der Schwerpunkt lag darauf, den Gegner so schnell und effektiv wie möglich zu überwältigen, wobei Waffentypen, Rüstungen und die jeweilige Situation den Kampfstil entscheidend beeinflussten. Dieser Artikel gibt einen Einblick in die echte Welt mittelalterlicher Kampfkünste, ihre Entwicklung und ihren Einsatz im Krieg, bei Duellen und zur Selbstverteidigung.

  • Fechtbücher (Manuskripte):
    Diese Werke wurden von Fechtmeistern wie Johannes Liechtenauer, Hans Talhoffer und Fiore dei Liberi verfasst. Sie enthalten detaillierte Anleitungen zu Waffen, Techniken und Strategien. Die Manuskripte waren nicht nur praktische Handbücher, sondern auch ein Mittel, um Wissen zu bewahren und weiterzugeben.
  • Archäologische Funde:
    Waffen, Rüstungen und Überreste von Schlachtfeldern geben Hinweise auf die Art und Weise, wie Kämpfer ausgerüstet waren und welche Schäden durch bestimmte Techniken verursacht wurden.
  • Chroniken und Berichte:
    Zeitgenössische Berichte von Historikern oder Augenzeugen liefern oft Beschreibungen von Schlachten und Duellen, auch wenn sie manchmal übertrieben oder stilisiert sind.

Der Film „The King“ als realitätsnahes Beispiel

The King (2019), eine historische Adaption, die lose auf der Herrschaft von Heinrich V. von England basiert, bietet eine überraschend akkurate Darstellung mittelalterlicher Kampfszenen, insbesondere bei den Duellen. Der Film zeichnet sich durch seine rohe und authentisch wirkende Inszenierung aus.

Die Duellszenen von Henrich V. im Film wirken vergleichsweise realistisch, insbesondere in ihrer Dynamik und Brutalität. Der Kampf gegen den Dauphin hebt dabei einige Techniken hervor, die aus historischen Fechtbüchern stammen:

  • Langschwert & Halbschwert: Das Duell wird mit Langschwertern begonnen, welche, je nach Technik, für einhändige Häue oder kraftvolle Hiebe zum Halbschwert umgegriffen werden.1
  • Arm- und Leibringen: Im Duell setzt Heinrich nach Verlust des Schwertes Griffe sowie Schläge ein, die zwar auf improvisierte Taktiken hindeuten, jedoch einen korrekten Kern innehaben, da sie an Hans Tallhoffers Stücke zum Thema Ringen erinnern2.
  • Dolch: für schwer gerüstete Harnischfechter war es gängig, dass ein Dolch (zu der im Film spielenden Zeit waren dies Scheibendolche) mitgeführt wurde. Zu diesem wird gegriffen, sobald der Fechter seine Primärwaffe nicht mehr in Händen hält3

Sowohl die Stücke aus dem Halbschwert als auch aus dem Ringen wurden hierbei überraschend akkurat umgesetzt ohne dabei in dramaturgische Stilisierungen zu verfallen. Auch das Ende des Kampfes geschah durch einen gezielten Stich in die Blöße des Halses, was eine gängige Trefferzone der damaligen Gefechte im Harnisch war.

“Ob er dir stich mit gancz krafft von vndñ auff zw dem leib So stich ym von oben zwischn seins tenkchn arm vnd swert durch vnd heb vbersich mit den knopff als dw es obenn gemalt siechst”
Harnischfechtstück im Halbschwert aus dem Gladiatoria Manuskript -Transkribiert von Dierk Hagedorn4
Eine leicht abgewandelte Form ebenjenes Stücks ist in Minute 2:26 zu sehen.

“A throwing technique from the upper and lower weak points.” von Paulus Hector Mair, Seite 72 (~1540)5


Diese Wurftechnik ist bei Minute 1:19 ebenfalls sehr akkurat und nach Quellen rekonstruert zu sehen.

Künstlich länger gezogener Kampf als fiktionale Freiheit:

Die oben zu sehende Duellszene hätte bei historisch korrekt angewendeten Taktiken theoretisch bereits nach der Hälfte der Szene enden können, indem einer der beiden Kontrahenten während des Ringens am Boden zu ihren jeweiligen Dolchen gegriffen hätte, was in einer solchen Gefechtssituation die historisch gängigste Angriffsmethode darstellt und erst wenige Sekunden vor Ende der Szene umgesetzt wurde. Davor zeigte keiner der Beiden Anzeichen den Dolch einzusetzen.

Insgesamt schafft es The King jedoch, historische Genauigkeit mit erzählerischen Anforderungen zu vereinen. Während einige Elemente, wie der Aufbau der Schlachtreihen der englischen Armee, vereinfacht wurden, bleibt die Grundstimmung der Kämpfe glaubwürdig und realistisch. Der Film ist ein gutes Beispiel dafür, wie historische Kampftechniken in modernen Filmen dargestellt werden können, ohne ihre Authentizität aufzugeben.

  1. Harnischfechten mit Lang- und Halbschwert nach Gladiatoris
    https://wiktenauer.com/wiki/Gladiatoria_group ↩︎
  2. Leibringen nach Hans Talhoffer
    https://wiktenauer.com/wiki/Hans_Talhoffer ↩︎
  3. Harnischfechten mit Dolch nach Gladiatoris
    https://wiktenauer.com/wiki/Gladiatoria_group ↩︎ ↩︎
  4. 6. Stück im Reiter Langschwert
    https://wiktenauer.com/wiki/Gladiatoria_group ↩︎
  5. Paulus Hector Mair
    https://wiktenauer.com/wiki/Paulus_Hector_Mair ↩︎

„Kingdom Come: Deliverance“ als Maßstab für realitätsnahe historische Kämpfe bei Videospielen

Ein besonders herausstechendes Beispiel für realistische Kampfdarstellungen in Videospielen ist das Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance. Das Spiel, das im spätmittelalterlichen Böhmen des 15. Jahrhunderts spielt, legt großen Wert auf historische Genauigkeit, von der Gestaltung der Welt und den darin vorkommenden Charakteren, bis hin zum Kampfsystem, welches wiederum ein überraschend beeindruckender Versuch, historisch belegte Fechttechniken in ein Videospiel zu übertragen. Der Entwickler Warhorse Studios orientierte sich dabei an den zu der Epoche entsprungenen Quellen und Fechtbüchern, die die europäische Kriegs- und Kampfkunst des 15. Jahrhunderts dokumentieren. Diese detailverliebte Herangehensweise macht das Kampfsystem einzigartig, stellt jedoch auch aufgrund seiner Komplexität große Herausforderungen in der Spielmechanik dar.

Fechtbücher: Die historischen Grundlagen des Kampfsystems

Im Spätmittelalter und der Renaissance wurden Kampftechniken in Fechtbüchern systematisch festgehalten, welche wiederum als Lehrwerke für den Adel, Soldaten und andere Kampfkünstler dienten. Sie dokumentierten Techniken detailliert für Waffen wie beispielsweise Langschwert, Langes Messer, Rapier, Stangenwaffen wie Speere, Spieße, Hellebarden und auch den unbewaffneten Nahkampf.
Einige der wichtigsten Quellen, auf die sich auch Kingdom Come: Deliverance stützt, sind:

  • Johannes Liechtenauer (15. Jahrhundert): Liechtenauers Fechtlehre war eine der einflussreichsten Kampfsysteme in Europa. Sein Lehrsystem, welches in späteren Handschriften wie der Nürnberger Handschrift GNM 3227a von seinen Schülern dokumentiert wurde, beschreibt den Kampf mit dem Langschwert und setzt auf Prinzipien wie „Indes“ (das Timing in Gefechten) und „Fühlen“ (Kontaktwahrnehmung in der Bindung zweier Waffen), was auch in Kingdom Come: Deliverance zum Einsatz kommt.
  • Hans Talhoffer (15. Jahrhundert): Talhoffers Fechtbücher sind berühmt für ihre grafischen und detaillierten Darstellungen von Langschwerttechniken, Dolchkämpfen und Duellvorbereitungen. Viele der Kampfanimationen basieren direkt auf den in seinen Werken beschriebenen Techniken.
  • Fiore dei Liberi (14. Jahrhundert): Als einer der bedeutendsten italienischen Fechtmeister beschrieb Fiore Techniken für Langschwert, Speer und unbewaffneten Kampf in seinem Werk „Fior di Battaglia“.
  • I.33 („Walpurgis-Fechtbuch“): Dieses Werk aus dem 13. Jahrhundert ist das älteste bekannte Fechtbuch und beschäftigt sich vor allem mit dem Kampf mit Schwert und Schild bzw. Buckler.

Diese Quellen geben nicht nur Einblick in die Techniken, sondern auch in die zugrunde liegenden Philosophien und Taktiken der mittelalterlichen Kampfkunst.

Angriffsrichtungen und Schläge

Das System basiert auf einem sechsdirektionalen Angriffs- und Verteidigungsansatz. Spieler können Angriffe aus fünf verschiedenen Richtungen (oben, links, rechts, diagonal links, diagonal rechts) ausführen, was den Bewegungen aus historischen Fechtbüchern entspricht.

“Meyerkreuz” aus dem Buch “Gründtliche Beschreibung der… Kunst des Fechtens” 1

Dies ermöglicht die Anwendung von taktischen Angriffen unter dem Einsatz spezieller Techniken wie Meisterhäue, zu denen beispielsweise der der Zornhau, ein starker diagonaler Hau zählt, der die Deckung des Gegners brechen soll. Ein weiterer umsetzbarer Meisterhau ist der Twerhau, ein oft waagrechter Schlag mit dem Langschwert, der über dem Kopf des Angreifers geschieht. Aber auch Finten, Techniken, bei denen der Gegner durch einen scheinbaren Angriff in eine Richtung getäuscht wird, um dann an einer anderen Stelle zu treffen, sind umsetzbar.

Eine andere Technik, die beispielsweise in Talhoffers Skripten und im Codex Wallerstein2 beschrieben wird, ist das Halbschwert. Dabei greift der Kämpfer das Schwert direkt an der Klinge, um präzisere Stöße gegen gepanzerte Gegner auszuführen. Diese Technik wird im Spiel implementiert, um den Realismus im Kampf gegen stark gerüstete Feinde im Harnisch zu erhöhen.

Das Spiel unterscheidet zusätzlich zwischen verschiedenen Angriffsarten, darunter:

Schneidtechniken: Zum gezielten Schwächen eines Gegners über Zeit.
Hiebe: Ideal gegen ungerüstete Gegner, da sie maximale Schnittwirkung entfalten.
Stiche: Besonders effektiv gegen schmale Lücken in Plattenpanzern.

Sowohl der gespielte Charakter als auch die im Spiel vorkommenden Gegner nehmen bei den Gefechten passend zur Waffengattung und historisch belegte Huten bzw. Leger3 ein, deren Angriff- sowie Paradefunktionen auch im Spiel Anwendung finden.

Illustration des "Verkehrers" aus dem Werk "Fechtbücher (Sammelhandschrift) - UBA Cod. I.6.2° 2"
Illustration des Stuck im aufstreichen aus Fechtbücher (Sammelhandschrift) – UBA Cod. I.6.2° 24
Kingdom Come: Deliverance II – Gameplay Darstellung eines doppelten Twerhaues nach Johannes Liechtenauer (Kunst des langen Schwertes, ~1389)

Dynamik des Kampfes: Fließende Animationen und Trefferzonen

Ein großer Pluspunkt von Kingdom Come: Deliverance ist die realistische Darstellung der Dynamik eines Kampfes. Durch Motion-Capture-Technologie, die mit erfahrenen HEMA-Kämpfern (Historical European Martial Arts) durchgeführt wurde, wirken die Bewegungen natürlich und überzeugend. Außerdem werden Trefferzonen präzise simuliert:

Gezielte Angriffe: Spieler können spezifische Körperteile ins Visier nehmen, wie den Kopf oder ungeschützte Gliedmaßen, um Schwachstellen der Rüstung auszunutzen.

Konter: Konter basieren auf der genauen Beobachtung des gegnerischen Angriffs und erfordern Timing, wie es in historischen Manuskripten beschrieben wird.

Herausforderungen und Grenzen der Authentizität

Trotz des hohen Anspruchs an Authentizität gibt es Einschränkungen. Einige komplexe Techniken, wie Würfe oder der Kampf am Boden, wurden nicht vollständig umgesetzt, da sie schwer in ein Spielmechanik-System zu integrieren sind. Ebenso müssen Spieler durch Tutorials in die Kampftechniken eingeführt werden, welche oft nicht ausreichen, da die Komplexität für Neulinge oft überwältigend zu sein scheint. Kingdom Come: Deliverance II erscheint Anfang 2025 und soll das Kampfsystem um zusätzliche historisch belegte Techniken erweitern.

Fazit

Das Kampfsystem von Kingdom Come: Deliverance ist eine Hommage an die Fechtkunst des Mittelalters. Durch die detailgetreue Integration historischer Techniken aus Fechtbüchern setzt das Spiel einen neuen Standard für Realismus in Videospielen. Es zwingt Spieler dazu, strategisch zu denken, präzise zu handeln und die Herausforderungen realer mittelalterlicher Kämpfe zu meistern – ein Erlebnis, das sowohl unterhält als auch lehrreich ist, jedoch auf keinen Fall für die breite Masse bestimmt ist.

  1. Joachim Meyers “Meier Kreuz”
    https://www.wiktenauer.com/wiki/Joachim_Meyer ↩︎
  2. Codex Wallerstein
    https://www.thearma.org/Manuals/CodexW.htm
    ↩︎
  3. Erklärung zu Huten bzw. Leger
    https://www.schwertkampf-tutorials.de/die-vier-huten/
    ↩︎
  4. Fechtbücher (Sammelhandschrift) – UBA Cod. I.6.2° 2
    http://digital.bib-bvb.de/view/bvb_mets/viewer.0.6.5.jsp?folder_id=0&dvs=1731975134328~230&pid=1963622&locale=de&usePid1=true&usePid2=true ↩︎

Realismus bewaffneter Kampfszenen in mittelalterlichen Historienfilmen und Games – Ein Überblick

Kampfszenen in Filmen und Videospielen sind ein zentraler Bestandteil vieler Geschichten. Sie fesseln das Publikum, bieten Spannung und Dynamik – und prägen oft die Wahrnehmung historischer und fantastischer Settings. Doch wie realistisch oder gar historisch akkurat sind diese Darstellungen eigentlich und wie viele der Szenen würden einer Prüfung auf historischen Korrektheit stand halten? Ich werfe einen Blick auf die Balance zwischen Authentizität und künstlerischer Freiheit und sehe mir anhand bekannter Fallbeispiele an, wie groß die Varianz dabei ist.

Warum Realismus relevant ist und dennoch so oft davon abgewichen wird

Die Darstellung von Kampfszenen generell wird von zwei Faktoren geprägt: Authentizität und dramaturgische Inszenierung. Einerseits erwarten viele Zuschauer, dass Rüstungen, Waffen und auch die dazugehörigen Kampftechniken „realistisch“ wirken, besonders in historischen Kontexten, in Gegensatz zu Filmen und Spielen mit klaren Fantasy- oder Science Fiction Elementen. Andererseits stehen Produzenten und Stunt Choreografen vor der Herausforderung, Kämpfe aufregend und für das Publikum unterhaltsam zu gestalten, auch wenn dies bedeutet, bei der historischen Akkuratheit Abstriche zu machen.

Trotz der Unterschiede zwischen Realität und Fiktion gibt es immer wieder Werke, die versuchen, beide Welten zu verbinden. Aber auch hier zeigt sich, dass historische Authentizität ihre Grenzen hat, insbesondere, wenn es um Unterhaltung geht. So wirken in vielen Fällen realistische Kampftechniken für den Zuschauer weniger dramatisch oder visuell vergleichsweise nicht so eindrucksvoll. Historische Duelle dauerten, je nach Bewaffnung und Rüstungsgrad der Kontrahenten, oft nur wenige Sekunden, da ein gut gesetzter Hieb oder Stich schnell tödlich sein konnte, was für Zuschauer oder Spieler meist wenig spannend wirkt.

Filme: Dramaturgie an erster Stelle

In Filmen wird der Realismus in Kämpfen oft zugunsten der Inszenierung geopfert. Bewegungen werden übertrieben, Waffen fantasievoll und teils sehr kreativ eingesetzt und Kämpfe absichtlich in die Länge gezogen.1 Beispiele hierfür sind die besonders ausgefallenen und mit beeindruckenden Stunts geschmückten Säbelkämpfe in Pirates of the Caribbean oder aber die kampfkunstübergreifenden und überdramatisierten Gefechte in Game of Thrones.

Spiele: Spielerlebnis vor Realismus

Videospiele gehen oft noch weiter. Titel wie The Witcher oder Assassins Creed integrieren neben den zuvor genannten Punkten teils übernatürliche Bewegungsmuster und Elemente, die zwar spektakulär aussehen, aber mit der historischen Realität wenig zu tun haben. Ein realistisches Kampfsystem wie das in Kingdom Come ist beispielsweise authentischer, könnte wiederum für Gelegenheitsspieler zu komplex und deshalb abschreckend wirken. Daher setzen viele Spiele auf vereinfachte Mechaniken oder fantasievolle Darstellungen, um ein breiteres Publikum anzusprechen2.

Quellen:

  1. Screenwriting Basics: How to Write Cinematic Fight Scenes
    https://screencraft.org/blog/screenwriting-basics-how-to-write-cinematic-fight-scenes/ ↩︎
  2. https://medium.com/super-jump/the-science-of-battle-systems-in-action-rpgs-4256b1f515b ↩︎