Titel: Development and Evaluation of a User Interface Concept for an Industrial Wind Turbine Diagnosis Application
Studiengang: Software Engineering and Management, TU Graz
Umfang: ca. 145 Seiten + Anhang
Artefakt: Interaktiver UI/UX-Prototyp für ein modellbasiertes Diagnosesystem im Bereich Windturbinenwartung
1. Einleitung und Überblick
Die Masterarbeit befasst sich mit der Entwicklung und Evaluierung eines User-Interface-Konzepts für ein industrielles Diagnosesystem auf Basis modellbasierter Fehlererkennung. Die Arbeit vereint theoretische Grundlagen zu Model-Based Diagnosis (MBD) mit einem nutzerzentrierten Designprozess und abschließender Usability-Evaluation. Als Artefakt wurde ein klickbarer Prototyp erstellt, der in ein reales Industrieumfeld (Uptime Engineering GmbH) eingebettet ist.
Die Arbeit ist klar strukturiert, professionell gesetzt (offensichtlich in LaTeX erstellt), mit sauberem Inhaltsverzeichnis, aktiven PDF-Verlinkungen und formal korrekter Quellenangabe. Der Aufbau folgt einem nachvollziehbaren Schema (Theorie, Related Work, Methodik, Artefakt, Evaluation, Fazit).
2. Bewertung nach CMS-Kriterien
Overall Presentation Quality
Die Arbeit wirkt insgesamt sehr professionell aufbereitet: einheitliche Typografie, konsequente Kapitelstruktur, klare Tabellen- und Abbildungsbeschriftungen. Die grafische Qualität der eingebetteten Abbildungen ist jedoch uneinheitlich – einige Screenshots wirken unscharf oder ohne klares visuelles Raster. Stellenweise wirken Kapitel sehr textlastig, ohne grafische Auflockerung oder Zwischenfazits, was es etwas anstrengend zu Lesen macht.
Degree of Innovation
Das Thema ist solide gewählt, jedoch nicht mega innovativ. Die Forschungslücke („Usability im Kontext von MBD-Systemen“) wird erkannt und adressiert, allerdings basiert der Beitrag auf der Anwendung bekannter Methoden (Usability-Testing, Iterative UX-Designprozesse). Daraus schließe ich, dass man garnicht das Rad neu erfinden muss für ein Masterarbeit.
Independence
Die Arbeit zeigt erkennbar Eigenleistung, insbesondere im Bereich der Nutzerstudien, Prototypentwicklung und Ableitung von Anforderungen. Gleichzeitig ist jedoch die enge Bindung an den Industriepartner sichtbar. Teilweise wirkt der Text wie ein Projektbericht über ein Firmentool, weniger wie eine freie wissenschaftliche Untersuchung. Darauf schließe ich, dass die Masterarbeit im Rahmen eine Anstellung gemacht worden sein könnte.
Organization and Structure
Sehr klare Gliederung, logisch aufgebaut. Einige Kapitel sind jedoch krass umfangreich – z. B. enthält Related Work fast 30 Seiten, während Conclusions and Future Work vergleichsweise knapp ausfallen. Es wirkt als wäre Related Work für sehr ausgereizt worden, um den Gesamtumfang zu erweitern, weil es in meiner Ansicht einfacher ist über bestehendes zu schreiben als eigene innovative Gedanken für z.B. Conclusions zu finden.
Communication (Stil, Lesbarkeit, Sprache)
Der Schreibstil ist präzise und gut lesbar, ohne unnötige Komplexität. Fachbegriffe werden korrekt eingeführt. Allerdings enthält der Text einige wiederholende Passagen, die Inhalte aus früheren Kapiteln nochmals zusammenfassen. Auch wird an mehreren Stellen Grundlagenwissen ausführlicher erklärt als für eine Masterarbeit im Software-Engineering notwendig wäre – insbesondere im Abschnitt über AI-Methoden.
Scope
Der Umfang der Arbeit ist angemessen. Die praktische Komponente (der Prototyp) wird ausführlich beschrieben und evaluiert. Allerdings liegt der Schwerpunkt deutlich stärker auf UX als auf UI oder systemtechnischen Aspekten. Themen wie visuelle Gestaltung, Farbsysteme, Typografie oder Accessibility werden kaum wissenschaftlich reflektiert, obwohl sie für ein UI-Projekt relevant wären.
Accuracy and Attention to Detail
Formale Qualität ist hoch: ich konnte kein Tippfehler erkennen, konsistente Formatierung, umfangreiche Abbildungsbeschriftungen. Auffällig ist jedoch, dass methodische Details teilweise nur oberflächlich erläutert werden, etwa:
- keine genaue Beschreibung des Usability-Test-Designs
- Ergebnisse werden gut erzählt, aber kaum im Projekt ausgeführt.
Literature
Das Literaturverzeichnis ist umfangreich und wirkt für mich formal korrekt. Auffällig ist aber der hohe Anteil älterer Publikationen (>10 Jahre), besonders zu UX und UI, besonders weil diese Felder schnelllebig sind. Moderne Arbeiten zu Design Patterns, HCI-Guidelines oder aktuellen UI-Frameworks fehlen. Eine stärkere Einbindung aktueller Quellen (z. B. Nielsen-Norman, Material Design, usw) hätte die theoretische Basis gestärkt.
3. Bewertung des Artefakts
Der Prototyp erfüllt seinen funktionalen Zweck und ist nachvollziehbar dokumentiert. Die UX-Methodik ist klar beschrieben, der iterative Designprozess gut begründet und mit Usability-Evaluation abgesichert. Ich finde auch die klare Trennung von „General Interface“ und „Wind Turbine Interface“ ganz gut.
Kritisch fällt jedoch die visuelle und gestalterische Qualität des Prototyps auf:
Das Interface wirkt optisch veraltet und erfüllt moderne UI-Gestaltungsstandards (Typografie, visuelle Hierarchie, Farbkonzept) nur eingeschränkt – auch unter Berücksichtigung, dass die Arbeit 2018 publiziert wurde. Die Gestaltung erinnert eher an technische Tools der 2000er als an zeitgemäße Industrial UI/UX. Designentscheidungen werden funktional begründet, aber nicht gestalterisch reflektiert (keine Design Guidelines oder Style Systems). Ich finde zu einer runden Masterarbeit hätte UI schon auch noch dazu gehört.
4. Gesamtbewertung – Stärken & Schwächen
Stärken der Masterarbeit
- Klare und logisch nachvollziehbare Struktur, wirkt professionell
- Formal hochwertig gestaltet (LaTeX, sauber verlinkte Quellen, einheitliche Formatierung)
- Solide methodische Vorgehensweise im UX-Prozess (iterativ, testbasiert, mit Stakeholder-Einbindung)
- Reale Anwendungssituation mit Industriepartner, Praxisrelevanz
- Gute und verständliche Sprache
- Umfangreiche Literaturbasis, konsequent und formal zitiert
- Detaillierte Dokumentation des Prototypings und der Usability-Evaluation
- Nachvollziehbarer Forschungsbezug
Schwächen der Masterarbeit
- Visuelles bzw. gestalterisches Niveau des UI-Artefakts eher schwach und nicht zeitgemäß
- Nicht super innovativ: Keine neue Theorie oder Methode, eher Anwenden von UX Prinzipien
- Enge Bindung an Industriepartner, kann auch einschränkend wirken
- Unbalancierter Textumfang: Related Work sehr lang, Conclusion vergleichsweise kurz
- Teilweise Wiederholungen im Text und zu ausführliche Darstellung bekannter Grundlagen
- Literaturquellen überwiegend älter, moderne UX/UI-Forschung kaum berücksichtigt
Fazit
Die Arbeit ist meiner Ansicht nach insgesamt eine gut strukturierte, wissenschaftlich sauber ausgeführte Masterarbeit mit hohem praktischem Anteil. Sie zeigt besonders im Bereich UX-Methodik und Usability-Evaluation ihre Stärke. Schwächen liegen vor allem in der gestalterischen Qualität des Artefakts sowie der fehlenden Auseinandersetzung mit Innovationen im UX/UI Bereich vor. Der wissenschaftliche Beitrag liegt weniger in einer theoretischen Neuerung, sondern in der systematischen Anwendung bestehender UX-Methoden. Ich hatte immer die Befürchtung, dass eine Masterarbeit eine super innovative Leistung sein muss. Eigentlich finde ich das sehr beruhigend.
Link: https://repository.tugraz.at/publications/9ybyz-xjd17