Historienfilme und -Serien ziehen Zuschauer in vergangene Epochen und entführen sie in die Welt des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Doch wie viel historische Authentizität braucht ein solcher Film, wenn es sich dabei nicht um einen Dokumentarfilm handelt? Ist es immer notwendig, jedes Detail akkurat darzustellen, oder bis zu welchen Grad kann es sinnvoll sein, von der Geschichte abzuweichen, um eine spannendere Geschichte zu erzählen? Dieser Artikel beleuchtet den Konflikt zwischen Realismus und künstlerischer Freiheit, untersucht die Gründe für historische Ungenauigkeiten und zeigt anhand von Beispielen, wie eine Balance zwischen beiden Ansätzen gelingen kann.
Authentizität vs. künstlerische Freiheit
Filme und Serien sind in erster Linie Geschichten und während Dokumentationen versuchen, die Realität und die darin thematisierten Charaktere und Ereignisse so objektiv wie möglich darzustellen, haben Historienfilme oft ein anderes Ziel: Sie wollen unterhalten und emotional bewegen. Dabei entsteht ein natürlicher Konflikt zwischen Realismus und künstlerischer Freiheit.
Historische Genauigkeit sorgt für Glaubwürdigkeit und Immersion. Zuschauer, die sich für eine bestimmte Epoche oder ein historisches Ereignis interessieren, erwarten häufig ein hohes Maß an Detailtreue. Authentizität hilft dabei, die Komplexität und Nuancen einer historischen Zeit zu verstehen – von politischen Strukturen bis hin zu sozialen Dynamiken.
Ein Beispiel hierfür ist Master and Commander (2003). Der Film zeichnet sich durch seine präzise Darstellung des Lebens an Bord eines Kriegsschiffs im frühen 19. Jahrhundert aus. Von den Uniformen der Offiziere über die Navigationsinstrumente bis hin zur Sprache der Besatzung – alles wurde sorgfältig recherchiert und authentisch inszeniert. Diese Detailtreue schafft eine immersive Atmosphäre, die es dem Publikum ermöglicht, tief in die maritime Welt der Napoleonischen Kriege einzutauchen.
Trotz aller Bedeutung der Authentizität bleibt ein Film ein erzählerisches Medium, das darauf abzielt, Emotionen zu wecken und Geschichten zu erzählen. Historische Fakten allein reichen oft nicht aus, um eine packende Handlung zu erzeugen. Hier kommt die künstlerische Freiheit ins Spiel, die es Filmemachern erlaubt, die Realität zu dramatisieren, zu verkürzen oder sogar zu verändern, um eine mitreißende Erzählung zu schaffen.
Ein Paradebeispiel für den Einsatz künstlerischer Freiheit ist Ridley Scotts Gladiator (2000). Der Film nimmt sich viele Freiheiten bei der Darstellung des antiken Roms, von der Figur des Kaisers Commodus bis hin zur Arena-Kultur. Doch diese Änderungen dienen dem Zweck, eine eine klare Heldenreise zu erzählen, die Zuschauer emotional anspricht. Die Konflikte und Kämpfe von Maximus sind archetypisch und universell, was den Film für ein breites Publikum zugänglich macht, auch wenn die historische Genauigkeit darunter leidet.
Dieser Konflikt prägt die Produktion vieler Historienfilme und zieht sich bis hin zu der Darstellung von Kämpfen und Duellen.
Gründe für Ungenauigkeiten
1. Dramatische Wirkung: Der Kampf als emotionaler Höhepunkt
Kampfszenen sind oft der Höhepunkt eines Films oder einer Serie. Sie dienen nicht nur dazu, den Konflikt aufzulösen, sondern auch, die Zuschauer emotional zu packen.
Ein authentischer bewaffneter Kampf war oft schnell und chaotisch. Ein einziger Treffer konnte, je nach Rüstungsgrad der Kontrahenten, tödlich sein, und Duelle dauerten selten länger als wenige Minuten. Diese Realität ist jedoch für Zuschauer häufig wenig befriedigend, daher verlängern Filme Kämpfe, übertreiben Bewegungen oder inszenieren spektakuläre Wendungen, um mehr Spannung aufzubauen.
Beispiel: The Last Duel (2021) zeigt ein realistisch wirkendes Duell, das jedoch dramaturgisch aufgearbeitet wurde und dementsprechend atypische Handhabung der darin vorkommenden Breitschwerter inne hat, um die Spannung und Intensität des Kampfes zu steigern. Die Choreografie bleibt, im Vergleich zu anderen Filmen, auf der eher authentischen Seite, aber die emotionale Bedeutung des Kampfes wird durch Stilisierung verstärkt.
2. Charakterentwicklung: Waffen und Kampfstile als Ausdruck von Persönlichkeit
Die Wahl von Waffen und Kampfstilen kann viel über die Charaktere eines Films aussagen. Hierbei spielt die Authentizität oft eine untergeordnete Rolle, da die Inszenierung wichtiger ist als historische Details. Sie spielen in Filmen oft eine zentrale Rolle bei der Charakterentwicklung und sind mehr als bloße Werkzeuge oder Kampftechniken – sie dienen als visuelles und erzählerisches Mittel, um die Persönlichkeit, Werte und Entwicklung einer Figur zu unterstreichen, worunter die Authentizität dementsprechend leiden kann.
So wird in The Princess Bride (1987) der Fechtstil jedes Charakters genutzt, um dessen Persönlichkeit zu unterstreichen. Die Kämpfe sind choreografisch anspruchsvoll, aber absichtlich überzogen und humorvoll gestaltet, um die märchenhafte Stimmung des Films zu unterstützen. Mehr dazu im nächsten Blog.
Ein anderes, etwas fantasievolleres Beispiel sind Geralt von Rivas zwei Langschwerter aus “The Witcher” 2019 – eines aus Stahl für Menschen und eines aus Silber für Monster – spiegeln nicht nur seine Berufung als Hexer wider, sondern verdeutlichen auch seine Dualität zwischen zwei Welten: der menschlichen und der magischen.
Dieses Beispiel von Connor Chamberlain1 demonstriert die dramaturgische Stilisierung von Geralts Kampfszene in Form von zeitlischer Mainpulation sowie der teils theatralischen und wenig realistischen Handhabung des Langen Schwerts (Minute 9:03).
3. Praktische Gründe: Machbarkeit für Schauspieler
Historische Techniken können je nach Komplexität und Waffe schwer zu erlernen sein. Schauspieler haben oft nur wenige Wochen Zeit, um komplexe Choreografien einzuüben und die Wenigsten sind enthusiastische Fechter:Innen, wodurch die Sicherheit und Routine mit der Waffe fehlt. Um Verletzungen zu vermeiden, werden ebenjene Kampfszenen an die Fähigkeiten der Darsteller angepasst. Das Ergebnis sind oft Bewegungen, die stilisiert und vereinfacht werden, um sicher und gleichzeitig eindrucksvoll zu wirken. So sind beispielsweise in Braveheart (1995) die Schlachten visuell beeindruckend, aber die Kämpfer führen oft für deren Ausbildung (beispielsweise die trainierten und ausgebildeten Soldaten eines Kommandanten) im Kampf sehr ausladende, ungeschützte und daher oft unrealistische Bewegungen aus, die hauptsächlich für das Storytelling entworfen wurden.
Historische Ungenauigkeiten sind nicht automatisch ein Makel. Sie können vielmehr dazu beitragen, eine Geschichte zugänglicher, spannender und emotionaler zu gestalten. Die besten Historienfilme sind jene, die Authentizität als Werkzeug nutzen, aber gleichzeitig den Mut haben, die Realität dort anzupassen, wo es für die Dramaturgie notwendig ist, ohne sich dabei zu stark von der Glaubwürdigkeit weg zu bewegen.
Letztendlich ist es die Fähigkeit, historische Elemente respektvoll zu adaptieren, die diese Filme und Serien auszeichnet. Sie können uns die Vergangenheit näherbringen und gleichzeitig unterhalten – ein Spagat, der nicht leicht zu meistern ist, aber enorme kreative Möglichkeiten bietet.
Ob authentische Schwertkämpfe, überzeichnete Duelle oder epische Schlachten – das Ziel bleibt immer, die Zuschauer zu begeistern und sie in eine andere Zeit zu entführen. Wenn dies gelingt, spielt es oft keine so große Rolle, ob jedes Detail der Realität entspricht, denn die Geschichte lebt durch die Emotionen, die sie vermittelt.
- Denver Historical Fencing Academy
https://denverhistoricalfencing.com/ ↩︎