Im Folgenden möchte ich zusammenfassen, welche wahrnehmungspsychologischen Ansätze beim Video Mapping eine zentrale Rolle spielen. Dabei liegt der Fokus darauf, wie durch diese Kunstform bestehende Architektur, öffentliche Räume oder auch natürliche Umgebungen in ihrer Wahrnehmung verändert, ergänzt und erweitert werden können.
1. Gestaltpsychologie: Wahrnehmung von Formen und Mustern
- Die Gestaltgesetze (wie Gesetz der Nähe, Gesetz der Ähnlichkeit, Gesetz der Geschlossenheit) erklären, wie Menschen Muster und Strukturen in visuellen Reizen erkennen.
- Beim Video Mapping werden diese Prinzipien oft genutzt, um die Projektionen als harmonische Ergänzung zur Architektur wahrzunehmen. Beispiel: Wenn Projektionen die Linien und Formen eines Gebäudes betonen, nimmt der Betrachter sie als Teil des Ganzen wahr.
2. Figur-Grund-Trennung
- Dieses Konzept beschreibt die Fähigkeit, zwischen Vordergrund (Figur) und Hintergrund zu unterscheiden.
- Im Mapping kann die Architektur den „Hintergrund“ bilden, während die Projektionen zur „Figur“ werden. Durch geschicktes Zusammenspiel wird jedoch häufig diese Grenze aufgehoben, sodass der Betrachter beide Elemente als Einheit wahrnimmt.
3. Multisensorische Integration
- Video Mapping geht oft über rein visuelle Reize hinaus und kann mit akustischen oder sogar haptischen Elementen kombiniert werden.
- Die Wahrnehmung wird verstärkt, wenn mehrere Sinne angesprochen werden. Zum Beispiel kann eine Projektion in Verbindung mit Soundeffekten oder Musik den emotionalen Eindruck der Architektur intensivieren.
4. Kulturelle und emotionale Wahrnehmung
- Architektur hat oft eine starke kulturelle Bedeutung. Das Mapping kann diesen kulturellen Kontext durch die Projektionen entweder verstärken oder verfremden.
- Emotionen spielen eine zentrale Rolle in der Wahrnehmung. Projektionen, die mit Licht und Farben arbeiten, können spezifische emotionale Reaktionen hervorrufen (z. B. warme Farben für Geborgenheit oder kühle Farben für Distanz).
5. Embodiment: Verkörperte Wahrnehmung
- Wahrnehmung ist oft mit der Bewegung des Körpers im Raum verbunden. Beim Video Mapping beeinflusst die Perspektive des Betrachters die Art und Weise, wie die Projektionen wahrgenommen werden.
- Dynamische Projektionen, die sich mit der Position oder Bewegung des Betrachters verändern, können diese verkörperte Wahrnehmung verstärken und den Raum „aktiv“ erfahrbar machen.
6. Perceptual Set Theory (Erwartungshaltung)
- Menschen nehmen Dinge oft so wahr, wie sie sie erwarten. Beim Mapping kann durch überraschende Projektionen die Erwartungshaltung durchbrochen werden, was zu einem „Wow-Effekt“ führt.
- Beispiel: Wenn ein traditionelles Gebäude durch abstrakte oder futuristische Projektionen ergänzt wird, verändert dies den kulturellen Kontext und fordert die Betrachter heraus, ihre Sichtweise zu überdenken.
7. Synästhetische Wahrnehmung
- Manche Mapping-Projekte zielen darauf ab, eine Art Synästhesie zu erzeugen, bei der visuelle Reize als „musikalisch“ oder „haptisch“ empfunden werden. Dies kann durch die Abstimmung von Farben, Formen und Klängen erreicht werden.
Fazit
Durch die geziehlte Anwendung von wahrnehmungspsychologischen Ansätzen wird Video Mapping zu mehr als nur einer visuellen Erweiterung der Architektur. Es schafft eine transformative Erfahrung, bei der Raum, Licht und kultureller Kontext miteinander verschmelzen. Das Mapping wird dadurch nicht nur als dekorative Kunst, sondern als intensiver, emotionaler und kognitiver Prozess wahrgenommen.
In meinem Fall wäre es also spannend zu untersuchen, wie das Mapping von verschiedenen Inhalten auf eine Umgebung wirkt, die in einem starken kulturellen/religiösen Kontext stehen, wie z.B einer Kirche/Kapelle. Aber auch wie Objekte in der Natur ihre Umgebung beeinflussen, wenn sie mit virtuellen Inhalten bespielt werden. Ein gutes Beispiel ist hier Phillip Frank, den ich ja schon in früheren Artikeln erwähnte.
Die Kombination mit eigenem Sound Design wird hier ebenfalls eine wichtige Rolle spielen und interessante Ergebnisse liefern. Spannend wären unterschiedliche Tests mit verschiedenen Sound- und Projektionsarbeiten, um zu untersuchen wie sich die Wahrnehmung des Betrachters beeinflussen lässt.
Gedanklicher Exkurs:
Verschiedene Experimente oder auch “Usability Test”:
• Minimalen Veränderungen in der Musik und im Bild.
• Wie wirken synthetische Sounds und 3D Animationen im Gegensatz zu natürlichen Instrumenten und echten Filmaufnahmen?
• Wann wird das Mapping zuviel, dass wir dem Raum nicht mehr genügend wahrnehmen/Beachtung schenken?
In Hamburg findet zur Zeit die Licht- und Klanginstallation “Enlightenment” in der Kulturkirche statt.
In dieser 30-minütigen Show werden Vivaldis “Vier Jahreszeiten” mit beeindruckenden 360°-Projektionen kombiniert, die perfekt auf die Architektur der Kirche abgestimmt sind.
Relevanz für meine Masterarbeit:
Die Show nutzt die Prinzipien der Gestaltpsychologie, indem sie Muster und Strukturen schafft, die mit der bestehenden Architektur harmonieren. Die Projektionen betonen die Linien und Formen des Kircheninneren, wodurch ein kohärentes visuelles Erlebnis entsteht.
Durch die Projektionen wird die traditionelle Trennung zwischen Figur (Projektion) und Grund (Architektur) aufgehoben. Die visuellen Effekte verschmelzen mit der Struktur der Kirche, sodass Betrachter beide Elemente als Einheit wahrnehmen.
Die Kombination aus Musik und visuellen Effekten spricht mehrere Sinne gleichzeitig an. Dies verstärkt die immersive Erfahrung und bietet ein Beispiel dafür, wie multisensorische Integration in der Praxis umgesetzt wird.
Die Wahl der Kulturkirche Altona als Veranstaltungsort fügt eine kulturelle Dimension hinzu. Die Projektionen respektieren und verstärken den sakralen Raum, was zu einer tiefgehenden emotionalen Resonanz beim Publikum führt.
Die immersive Natur der Show fordert die Besucher auf, sich im Raum zu bewegen und verschiedene Perspektiven einzunehmen. Dies ermöglicht es, die verkörperte Wahrnehmung des Raumes zu erforschen und zu verstehen, wie Bewegung die Wahrnehmung beeinflusst.
Der Besuch von “Enlightenment” könnte wertvolle praktische Einblicke in die Anwendung von Video Mapping in historischen und kulturellen Kontexten bieten und die theoretischen Aspekte meiner Masterarbeit mit realen Erfahrungen verknüpfen.
LINKS: