Nachdem ich leider meinen ursprünglichen Plan, ein Event von Auto:Frei:Tag in Graz zu dokumentieren, im Endeffekt doch nicht durchführen konnte, habe ich nach möglichen Alternativen gesucht. Um beim ungefähren Thema zu bleiben, habe ich schlussendlich bei meiner Tante angefragt, ob sie bereit wäre ein Interview zu geben über die autofreie Siedlung in Wien, in der sie inzwischen seit fast 25 Jahren wohnt.
Vor dem Interview habe ich ein wenig Recherche betrieben um die richtigen Fragen stellen zu können und zu wissen, worauf ich meinen Fokus beim Filmen legen will. Leider ist es durch den nun recht knappen Zeitplan nicht mehr möglich gewesen, eine detaillierte Shotlist zu erstellen, stattdessen habe ich einfach vor Ort abgewartet, was beim Interview erwähnt wird und anschließend eine Runde durch das Areal gedreht und darauf geachtet, genügend passendes b-roll Material zu sammeln.
Im Folgenden möchte ich, als Einleitung in die neue Thematik, die Ergebnisse meiner Recherche zur autofreien Mustersiedlung kurz zusammenfassen.
Die 1999 erstmals bezogene Siedlung in Wien Floridsdorf war damals einzigartig und ist das heute immer noch. Es handelt sich hierbei um den einzigen Wiener Wohnkomplex, bei dem die Verpflichtung zum Verzicht auf ein eigenes Auto im Mietvertrag als Klausel zum Einzug steht. Um das Projekt zu ermöglichen wurde sogar 1996 eine Anpassung des Wiener Garagengesetzes vorgenommen, damit nicht mehr ein Autostellplatz pro Haushalt errichtet werden musste, sondern die Zahl auf bis zu 10% reduziert werden konnte (Ziegler, 2023).
Trotz der eigentlichen Verpflichtung zum autofreien Leben bei Einzug in die Siedlung, besitzen circa 10 bis 15 Prozent der Bewohner:Innen ein eigenes Auto und unter bestimmten Umständen ist das auch in der Vertragsklausel vorgesehen. Dass ein Großteil trotzdem konsequent auf ein eigenes Auto verzichtet liegt, laut Karl Wurm – ehemaliger Geschäftsführer der Gewog – auch an sozialem Druck und einem Gefühl der Gruppenzugehörigkeit innerhalb der Siedlung. Außerdem wir das autofreie Leben dadurch belohnt, dass die Kosten, welche gespart wurden weil weniger Stellplätze benötigt wurden, direkt in Gemeinschaftsangebote investiert wurden (Zoidl, 2021).
In der Autofreien Mustersiedlung gibt es vielseitige Angebote, von diversen Gemeinschaftsräumen wie zum Beispiel ein Partyraum, ein Fitnessbereich und eine hauseigene Saune, über Hochbeete auf dem Dach, ein Biotop im Innenhof und unterschiedliche Werkstätten bis hin zu einem Biolager für Lebensmittel reichen. Diese Angebote können von den Bewohner:Innen niederschwellig genutzt werden und sorgen so für eine starke Hausgemeinschaft in der man sich gegenseitig kennt und unterstützt. Ein weiterer Pluspunkt für das Wohnen in der Siedlung sind die vergleichsweise niedrigen Betriebskosten, welche nur etwa 60% derer von vergleichbaren Wohnprojekten betragen. Das kann mitunter darauf zurückgeführt werden, dass die Bewohner:Innenschaft einen Beirat stellt, welcher der Hausverwaltung hilft beziehungsweise diese auch überprüft (Ziegler, 2023).
Neben den zahlreichen Gemeinschaftsräumen bietet die Siedlung auch diverse Initiativen für ihre Bewohner:Innen an, beziehungsweise werden diese von Bewohner:Innen selbst ins Leben gerufen. Zum Beispiel gibt es ein jährliches Siedlungsfest mit Essen, Trinken und Live-Musik, einen monatlichen AbHof Markt, einen jährlichen Flohmarkt, gemeinsames Handarbeiten, einen Silvesterpfad, Jazzbrunch, Adventmarkt, diverse Workshops, und vieles mehr. Außerdem gibt es eine hauseigene Siedlungsband sowie einen Chor (autofreie Mustersiedlung Floridsdorf, 2025).
Zusammengefasst muss ich zugeben, dass ich zu Beginn meiner Recherche schlicht und einfach dachte, es handelt sich um eine Siedlung in der keine Autos fahren oder parken dürfen. Obwohl meine eigene Tante dort seit fast 25 Jahren wohnt, war mir nicht bewusst dass es sich bei der “Autofreiheit” um eine verpflichtende Vereinbarung aller Bewohner:Innen handelt. Ich wusste außerdem nicht, dass hinter “autofrei” noch so viel mehr steckt, dass es sich auch um eine Gemeinschaft mit gleichen Werten und Weltansichten handelt, und dass so viele Initiativen und Angebote existieren, die weit darüber hinausgehen, dass schlichtweg keine Autos fahren. Ob nun die Gemeinschaft und das offenbar blühende Sozialleben der Siedlung einzig und allein auf den Verzicht auf ein Auto zurückzuführen sind, oder ob vielleicht Personen die gewillt sind auf ein eigenes Auto zu verzichten, gleichzeitig auch auf der Suche nach gleichgesinnten und Gemeinschaft sind, sei dahingestellt.
Ich habe versucht, in meiner Recherche möglichst viele Informationen einzuholen und mir ein umfassendes Bild der Lage zu machen, ohne mir dabei aber eine eigene Meinung zu bilden. Ich denke, dass diese Vorbereitungen recht hilfreich und zielführend für mein Interview waren.
Literatur:
- Wohnprojekt in Floridsdorf: Wo es ohne Autos geht (Franziska Zoidl, Standard, 10.09.2021) https://www.derstandard.at/story/2000129470352/wohnprojekt-in-floridsdorf-wo-es-ohne-autos-geht
- Wie das Auto in die Autofreie Mustersiedlung kam (Mathias Ziegler, Wiener Zeitung, 20.09.2023)
https://www.wienerzeitung.at/a/autofreie-mustersiedlung - Website der Autofreien Mustersiedlung Floridsdorf (autofreie Mustersiedlung Floridsdorf, 2025)
https://www.autofrei.org