Eine vergessene Perspektive der Stummfilmzeit: Frauen hinter der Kamera

Die Geschichte der Frauen in der Stummfilmzeit zeigt, dass sie nicht nur als Schauspielerinnen, Drehbuchautorinnen oder Produzentinnen tätig waren, sondern auch technische Rollen übernahmen – darunter die Bedienung von Filmkameras. Doch diese Leistungen wurden lange übersehen oder gar bestritten. Obwohl es in der Filmindustrie einige Frauen gab, die als Kamerafrauen arbeiteten, blieben sie weitgehend unsichtbar. Dies lag zum einen an den Geschlechterrollen der Zeit, zum anderen an der Skepsis gegenüber der technischen Kompetenz von Frauen. Der folgende Abschnitt beleuchtet die seltene, aber bedeutende Rolle von Frauen als Kamerafrauen.

Das Fehlen einer Debatte: Unsichtbare Kamerafrauen

Während der Stummfilmzeit wurde kaum ernsthaft darüber nachgedacht, warum es so wenige Frauen in der Rolle von Kameraleuten gab. In der Branche schien die Vorstellung zu herrschen, dass Frauen in dieser technisch anspruchsvollen Position schlicht nicht existierten. Selbst einflussreiche Frauen wie die Drehbuchautorin und Produzentin June Mathis konnten sich 1925 nicht an ein Beispiel einer Frau erinnern, die als Kamerafrau tätig war. Doch es gab sie – einige wenige Frauen, die trotz der Vorurteile und der körperlichen Herausforderungen des Kamerabetriebs mit 35-mm-Filmkameras arbeiteten.

Frauen mit Kameras vs. Kamerafrauen

In der Öffentlichkeit wurden Frauen mit Kameras oft als Neuheit dargestellt, doch diese Darstellungen unterschieden selten zwischen Frauen, die tatsächlich als professionelle Kamerafrauen arbeiteten, und solchen, die Kameras nur symbolisch als Requisiten für Fotos nutzten. Schauspielerinnen wie Marie Doro oder Alla Nazimova wurden oft mit Filmkameras abgebildet, um ihre Vielseitigkeit zu betonen, jedoch nicht, weil sie tatsächlich Kamerafrauen waren. Der Unterschied zwischen der Position „neben“ und „hinter“ der Kamera ist dabei entscheidend: Frauen, die tatsächlich hinter der Kamera arbeiteten, waren eine seltene, aber bemerkenswerte Ausnahme.

Beispiele für professionelle Kamerafrauen

Grace Davison: Eine Pionierin hinter der Kamera

Grace Davison, eine der wenigen bekannten Kamerafrauen, wurde in einem Artikel der Picture Play Magazine aus dem Jahr 1916 vorgestellt. Der Artikel versucht, die Annahmen über die technische Inkompetenz von Frauen zu widerlegen, indem er Davisons Fähigkeiten hervorhebt. Sie begann ihre Karriere mit einer stillen Graflax-Kamera, bevor sie sich der komplexeren Filmkamera zuwandte. Davison experimentierte mit fortschrittlichen Techniken wie Doppel- und Dreifachbelichtungen und schuf beeindruckende Aufnahmen, die selbst erfahrene Kameramänner wie Harry Fischbeck beeindruckten. Trotz ihres Talents wechselte Davison später wieder zur Schauspielerei und gründete sogar ihre eigene Produktionsfirma.

Francelia Billington: Von der Schauspielerin zur Kamerafrau

Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel ist Francelia Billington, die 1914 in einem Artikel der Photoplay als „Kameraoperatorin“ vorgestellt wurde. Sie begann ihre Karriere als Schauspielerin, entdeckte jedoch ihre Leidenschaft für die Kameratechnik und arbeitete zeitweise als Kamerafrau am Set. Billington beschrieb ihre Faszination für die Mechanik der Kamera und die Herausforderung, Szenen visuell umzusetzen. Ihre Arbeit als Kamerafrau war jedoch kurzlebig, da die Studios bald keine Frauen mehr in dieser Rolle akzeptierten. Billington kehrte zur Schauspielerei zurück und erreichte ihren Karrierehöhepunkt in Erich von Stroheims Film Blind Husbands (1919).

Die Darstellung von Kamerafrauen in den Medien

Die wenigen Frauen, die als Kamerafrauen arbeiteten, wurden in den Medien oft auf ihre äußerliche Erscheinung reduziert. Artikel beschrieben detailliert ihre Kleidung, wie z. B. Margery Ordways „kamerataugliches“ Outfit, das aus einem karierten Anzug und passender Mütze bestand. Diese Fokussierung auf das Äußere verstärkte die Wahrnehmung, dass Frauen in technischen Rollen eine Kuriosität waren. Gleichzeitig wurden Begriffe wie „grinding“ oder „cranking“ (für das Bedienen der Kamera) in den Artikeln humorvoll verwendet, um die ungewöhnliche Vorstellung einer Frau hinter der Kamera zu betonen.

Spätere Anerkennung und Forschung

Die Leistungen dieser Pionierinnen gerieten über Jahrzehnte in Vergessenheit. Erst in den 1970er Jahren begannen Historiker wie Anthony Slide, sich mit den Frauen hinter der Kamera zu beschäftigen. Slide entdeckte Namen wie Grace Davison, Margery Ordway und Dorothy Dunn, die als Kamerafrau beim Universal Animated Weekly tätig war. Später wurden auch Frauen wie Katherine R. Bleecker als frühe Filmpionierinnen anerkannt, die dokumentarische Szenarien mit realen Personen inszenierten und filmten.

Dokumentarische und unabhängige Arbeiten

Während die Filmstudios Frauen zunehmend aus technischen Positionen verdrängten, fanden einige von ihnen außerhalb Hollywoods Möglichkeiten, ihre kreative Vision umzusetzen. Katherine R. Bleecker drehte Szenen in New Yorker Gefängnissen, während Angela Murray Gibson ihre eigene Produktionsfirma gründete, um Kurzfilme mit bildungspolitischem Hintergrund zu realisieren. Diese Frauen nutzten den dokumentarischen Stil, um soziale Themen zu beleuchten und ihre eigene Perspektive einzubringen.

Fazit: Eine vergessene Errungenschaft

Die Arbeit von Frauen als Kamerafrauen in der Stummfilmzeit war ein seltenes, aber bedeutendes Phänomen. Trotz kultureller und struktureller Barrieren bewiesen diese Frauen technische Kompetenz und Kreativität in einem Bereich, der traditionell Männern vorbehalten war. Ihre Leistungen sind ein wichtiger Teil der Filmgeschichte und zeugen von der Vielfalt der Rollen, die Frauen in der frühen Filmindustrie einnahmen. Die späte Anerkennung ihrer Arbeit durch Filmhistoriker zeigt, wie entscheidend es ist, die Beiträge von Frauen in der Filmgeschichte neu zu bewerten und zu würdigen.

Quelle: https://wfpp.columbia.edu/essay/women-as-camera-operators-or-cranks/

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